Zwischen Medienkompetenz und Algorithmen: Forschung zu Desinformation auf digitalen Plattformen

Bewusst verbreitete Falschmeldungen sind in sozialen Medien und anderen digitalen Plattformen allgegenwärtig. Neue Studien im Auftrag des BAKOM zeigen, welche Faktoren eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung von Desinformation spielen.

Thomas Häussler, Abteilung Medien

Digitale Plattformen wie YouTube, Instagram oder TikTok ermöglichen einerseits den Zugang zu Informationen, fördern den Austausch von Ideen und Meinungen und bieten Nutzenden die Möglichkeit, sich mit anderen Menschen zu vernetzen. Sie bringen andererseits aber auch erhebliche Herausforderungen mit sich, von denen die Verbreitung von Desinformation eine der grössten ist, wie der BAKOM-Bericht «Intermediäre und Kommunikationsplattformen» von November 2021 festhält. Zur Verbreitung von falschen oder irreführenden Informationen tragen nicht nur die Nutzenden von Plattformen wie YouTube oder TikTok bei, die stärker auf emotional aufgeladene oder polarisierende Inhalte reagieren. Massgebend ist auch die Rolle der Algorithmen, etwa diejenigen von Suchmaschinen wie Google. Denn sie entscheiden darüber, welche Inhalte prominent platziert werden und damit mehr Sichtbarkeit – und Klicks – erlangen.

Vor diesem Hintergrund stellen sich mehrere Forschungsfragen, die von verschiedenen vom BAKOM mitfinanzierten Projekten bearbeitet worden sind. Zunächst müssen wir mehr darüber wissen, wie prominent Desinformation auf digitalen Plattformen zu finden ist. Im Anschluss daran interessiert, wie gut Nutzende in der Lage sind, Desinformation als solche zu erkennen. Und schliesslich ist danach zu fragen, welchen Effekt Desinformation hat im Hinblick auf die Meinungsbildung zu einem bestimmten Thema aber auch in Bezug zu anderen, längerfristigen Grössen wie dem Vertrauen in Institutionen und den politischen Prozess.

Zusammenhang zwischen Suchbegriffen und Desinformation

Suchmaschinen spielen eine wichtige Rolle, wenn Personen mit neuen, unerwarteten Ereignissen und Entwicklungen konfrontiert sind. Die Corona-Pandemie ist hier ein gutes Beispiel. Eine vom BAKOM unterstützte Studie hat untersucht, welche Quellen und Inhalte von Googles Algorithmus besonders prominent platziert werden (Studie 1). Es zeigt sich, dass die verwendeten Suchwörter eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob in den Suchergebnissen eher informierende Quellen erscheinen oder ob sie stärker auf Inhalte verweisen, die Desinformation entweder unwidersprochen stehen lassen oder sie sogar aktiv propagieren.

Abbildung: Einfluss von Stichwörtern auf Suchergebnisse. Anteil der Quellen in den Top-10-Ergebnissen (in %)

Grün: Die Seite enthält keine Desinformation
Blau: Desinformation wird erwähnt und widerlegt
Gelb: Desinformation wird erwähnt, aber nicht widerlegt
Rot: Die Seite propagiert Desinformation

Wie gut erkennen wir Desinformation?

Wenn die Unterschiede in den verwendeten Suchbegriffen einen so grossen Effekt auf die Ergebnisse haben, wird die Frage nach den digitalen Fähigkeiten umso wichtiger: In welchem Ausmass sind Online-Nutzerinnen und Nutzer in der Lage, Information von Desinformation zu unterscheiden? Hier zeigt eine weitere Studie, dass die Medienkompetenz der Schweizer Bevölkerung nicht sehr hoch ist. Die Auswertungen eines umfangreichen Tests zu verschiedenen Facetten der Medienkompetenz ergeben, dass der Durchschnitt gerade einmal bei 5.9 von 19 möglichen Punkten liegt, was nicht einmal einem Drittel des Totals entspricht (Studie 2).

Die Befragten mussten beispielsweise verschiedene Nachrichtenbeiträge nach ihrer politischen und gesellschaftlichen Bedeutung für die Schweiz einordnen. Auch hatten sie zu beurteilen, ob es sich bei einer gezeigten «News» um Information, Werbung, Meinung oder Falschinformation handelt. Tatsächlich können viele der Befragten Desinformationsinhalte vielfach nicht erkennen. Und selbst in Fällen, in denen sie korrekt als solche identifiziert werden, hält es die Befragten nicht davon ab, sie trotzdem weiterzuleiten und damit zu einer grösseren Verbreitung beizutragen, wie eine weitere Studie zeigt (Studie 3).

Kurz- und langfristige Wirkungen

Wenn also Algorithmen gleichermassen zur Sichtbarkeit von Information und Desinformation beitragen und Nutzende darüber hinaus Mühe bekunden, das eine vom anderen zu unterscheiden, stellt sich schliesslich die Frage nach der Wirkung von Desinformation. Hier hält die Forschung einige Ergebnisse im Bereich der kurzfristigen Effekte bereit. So können falsche oder irreführende Meldungen etwa das individuelle Verhalten wie die Impfbereitschaft beeinflussen oder die Wahlabsicht – und sie führen dazu, dass ihnen bei aufeinanderfolgendem Kontakt eher Glauben geschenkt wird. Fühlen sich Personen hingegen durch Desinformation verunsichert, so sinkt ihr Vertrauen in Nachrichteninhalte, insbesondere in solche auf digitalen Plattformen.

Zu den mittel- und langfristigen Wirkungen, die gerade mit Blick auf Wahlen und Abstimmungen besonders wichtig sind, wissen wir bisher hingegen nur wenig. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die methodische Umsetzung solcher Projekte besonders anspruchsvoll ist. Genau aus diesem Grund wird sich das BAKOM im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprogramms diesen Fragen widmen und damit einen Beitrag zum besseren Verständnis von Desinformation in einer digitalisierten Öffentlichkeit leisten.

Weitere Informationen

  • Studie 1: Mykola Makhortykh, Maryna Sydorova, Aleksandra Urman, Franziska Keller, Silke Adam. Algorithmic content selection in Switzerland – a study of Google and YouTube.
  • Studie 2: Jan Fivaz und Daniel Schwarz. Die Medienkompetenz der Schweizer Bevölkerung. Repräsentative Pilotstudie in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz
  • Studie 3: Achim Edelmann and Christian Müller. Experimental evidence of sharing and reporting misinformation in Switzerland, France, and Germany.

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Letzte Änderung 10.12.2024

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